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Wie kann Coaching die Resilienz sowie die psychische & mentale Gesundheit in Firmen beeinflussen? 

(Experten Interview mit Helmut Martin und Steffen Volk, Geschäftsführer der BARMER Würzburg)

Resilienz wird – kurz formuliert – meist mit Widerstandsfähigkeit oder auch Anpassungsfähigkeit gleichgesetzt, um schwierige Situationen im Leben zu meistern. Doch wie steht es um die Resilienz in Deutschland, insbesondere in Firmen? Und was sollten Unternehmen und Führungskräfte tun, damit ausreichend Resilienz beim Personal vorhanden ist? Helmut Martin und Steffen Volk äußern sich im Teil 1 des dreiteiligen Doppel-Interviews dazu und ebenso zur Wechselwirkung von Resilienz und psychischer Gesundheit. 

Teil 1: Resilienz hat viel mit mentaler & psychischer Gesundheit zu tun

Herr Martin, Herr Volk, es gibt keine einheitliche Definition von Resilienz. Was bedeutet für Sie persönlich Resilienz?

Helmut Martin: Resilienz bedeutet für mich zunächst mal eine gute, psychische Widerstandsfähigkeit zu entwickeln, eine innere Stärke, um den Herausforderungen der heutigen Zeit zu begegnen. Es geht aus meiner Sicht bei Resilienz immer auch um zwei Fragen: wie kann ich Strategien entwickeln, um belastende Situationen zu meistern und wie kann ich mich selbst weiterentwickeln, um in herausfordernden Situationen immer wieder in ein emotionales Gleichgewicht zu finden. 

Steffen Volk: Für mich bedeutet Resilienz, eine Kraftquelle für sich zu finden. Das kann ein sportlicher Ausgleich sein oder eine mentale Übung. Es geht aus meiner Sicht in dieser komplexen Welt darum, einen Ausgleich für sich zu schaffen und sich zu reflektieren. Dazu gehört auch, dass man Energiefresser für sich ausfindig macht und seine Ressourcen schont.  

Was glauben Sie: Wie sind die deutschen Firmen derzeit in Bezug auf Resilienz sowie psychische & mentale Gesundheit aufgestellt?

Steffen Volk:
 Die Mehrheit der deutschen Firmen erfüllt die Bedingungen für eine gute Resilienz und hat die Widerstandsfähigkeit im Laufe der Pandemie sogar verbessert. Laut einer Studie von Microsoft vom 8. September 2020 haben manche Unternehmen neue Arbeitsweisen geschaffen. Es gab seitdem einen Modernisierungs- und Digitalisierungsschub in der Arbeitswelt in Deutschland. Und auch die Führungskultur im Land hat sich bewährt. Laut einer Studie von Price Waterhouse Cooper vom März 2021 zeigt sich: Diverse Dinge, darunter die Pandemie, haben dafür gesorgt, dass die Unternehmen auf das Thema Resilienz hin sensibilisiert wurden. Trotzdem haben wir in Deutschland im internationalen Vergleich noch viel zu tun und aufzuholen. Etwa nur fünf von zehn Unternehmen gaben demnach an, dass sie in Zukunft mehr investieren möchten zugunsten der Resilienz ihrer Mitarbeiter.

Helmut Martin: Ich denke, viele Unternehmen sind auf einem guten Weg. Wichtig bei der Betrachtung von Unternehmen ist es, drei Arten der Resilienz zu unterscheiden. Erstens: Wie resilient ist die Organisation an sich? Zweitens: Wie stark und kraftvoll sind Teams, um die zunehmenden Belastungen auszuhalten? Drittens: Wie ist die personale Resilienz, also die individuelle, persönliche Widerstandsfähigkeit von Mitarbeitern und Führungskräften. Alle drei bedingen sich gegenseitig. Eine starke personale Resilienz hat großen Einfluss auf die Teamresilienz und starke, resiliente Teams wirken sich wiederum auf die Widerstandsfähigkeit der Organisation aus.

Sind andere Länder in Europa bereits weiter als wir in Deutschland, wenn es um Resilienz geht? 

Steffen Volk: In den skandinavischen Ländern wird hinsichtlich Prävention und Resilienz viel vorangetrieben. Daran können wir uns orientieren. 

Welche Branchen in Deutschland sind aktuell besonders betroffen, welche weniger? Und wo sehen Sie die Hauptursachen?

Steffen Volk: 
Das ist eine sehr spannende Frage! Laut Price Cooper Waterhouse haben während der Pandemie der Technologie – und Gesundheitssektor besonders von Maßnahmen der Resilienz profitiert. Reisebranche und Gastronomie haben dagegen sehr gelitten. Auch wenn deutsche Unternehmen durch die Katastrophen in den letzten Jahren zwar stärker dafür sensibilisiert worden sind, eine Resilienz aufzubauen, kümmern sie sich im internationalen Vergleich immer noch weniger um deren Aufbau.

Helmut Martin: Ich denke tatsächlich, dass wir hier branchenübergreifend denken müssen, da fast alle Bereiche von den Themen Corona, Ukraine Krieg, Energiekrise, Lieferketten-Probleme betroffen sind. Wenn bestimmte Branchen jedoch mehr betroffen sind, hat das vor allem auch Auswirkungen auf alle Führungsebenen, da diese viel abfangen und gleichzeitig performen müssen. Auch die Belastungen für Mitarbeiter sind enorm. Wir leben heute in sehr anspruchsvollen Zeiten, die es tatsächlich erfordern, bestimmte Fähigkeiten zu trainieren. Resilienz gehört hier maßgeblich mit dazu.

„Wenn Sinn-Orientierung und ein gut etabliertes Werteset vorhanden ist, gibt es immer genügend Motivation bei Führungskräften und Mitarbeitern“

Welche Rolle spielen hier die Führungs- und Unternehmenskultur, um wenigstens im Ansatz Abhilfe zu leisten?

Helmut Martin: 
Ich verwende oft die Metapher eines Segelschiffs. Auf offener See weiß man nie genau: Wann kommt der nächste Sturm und wie schwer wird er? Wenn die Besatzung jedoch eine funktionierende Navigation hat, findet sie immer durch den Sturm in den nächsten Hafen. Diese Navigation steht bei der Unternehmenskultur für eine Sinn-Orientierung und ein gut etabliertes Führungs- und Wertesystem. Wenn Zeiten schwierig sind, braucht es Klarheit über das „wohin?“ und das „wofür“? Es braucht eine starke Führung, die Druck abfedern und navigieren kann, die Mut macht und Vertrauen schenkt. Das ist viel verlangt, aber wenn diese Attribute vorhanden sind, wird es immer genügend Motivation und Kraft geben, das Unternehmen durch den Sturm zu bringen. Das verstehe ich unter organisationaler Resilienz.

Steffen Volk: 
Dem kann ich nichts hinzufügen! (lacht)

Wie sehr hängen Resilienz sowie psychische & mentale Gesundheit zusammen?

Helmut Martin: Der Begriff der Resilienz geht auf Emmy Werner zurück, eine US-amerikanische Psychologin. Sie machte eine langjährige Studie auf Hawaii über 40 Jahre hinweg. Sie hat von der Geburt des Kindes bis zu deren 40. Lebensjahr jene Menschen untersucht, die ein besonders belastendes Umfeld hatten, etwa Kriminalität, Armut, Gewalt. Ihre Erkenntnis: 2/3 der Personen sind nach einer gewissen Zeit selbst kriminell oder gewalttätig geworden oder haben Drogen genommen. Dagegen hat es 1/3 der Probanden geschafft, sich zu gesunden Menschen zu entwickeln mit stabilen Lebensverhältnissen und einer ausgezeichneten, mentalen Gesundheit.

Dabei stellte sich heraus, dass diese Menschen bestimmte Fähigkeit besaßen, sich immer wieder aus belastenden Situationen herauszuarbeiten. Dahinter standen Faktoren wie zum Beispiel Akzeptanz, Selbstwirksamkeit, Optimismus, Lösungsorientierung – und eben die Bereitschaft, Verantwortung für das eigene Leben zu übernehmen. Auf Basis dieser Studie sind erste Resilienz Konzepte entstanden. Sie konnte nachweisen, dass Resilienz und mentale Gesundheit eng miteinander verwoben sind. 

Steffen Volk: Ich will diesen Umstand mit ein paar Zahlen belegen aus dem BARMER Gesundheitsreport des Jahres 2022: Diagnosen für psychische Störungen haben in etwa 22% der Fälle zu Fehlzeiten in Betrieben beigetragen. Das ist deutlich mehr als im Jahr zuvor. Das bedeutet, dass psychische Erkrankungen im Jahr 2022 die zweithäufigste Ursache für Krankheitstage in Firmen sind – nach Erkrankungen des Muskel- und Skelettsystems. Dabei fällt auf, dass die Dauer der Krankheitstage meist viel länger anhält. Das bedeutet im Schnitt eine Länge von 49 Tagen bei psychischen Erkrankungen.  

Gerade bei den jungen Menschen ist es die häufigste Krankheitsursache. Zugleich hat die Studie gezeigt, dass psychische Erkrankungen mit steigendem Alter zunehmen. Davon sind Frauen noch mehr betroffen als Männer. 
All das bedeutet allerdings nicht, dass resiliente Personen nicht an psychischen Erkrankungen wie zum Beispiel Depressionen oder Angststörungen erkranken können. Sie können jedoch mit ihrer Erkrankung besser umgehen, entwickeln eher Fähigkeiten zur Krisenbewältigung und das wiederum kann zum Therapieerfolg beitragen.

Welche Folgen gehen mit einer geringen Resilienz zumeist einher?

Helmut Martin: Viele Menschen haben das Gefühl, dass sie überfordert sind und es ihnen an Kraft fehlt, Probleme zu lösen oder Herausforderungen zu meistern. Der eigene psychisch-mentale Akku ist leer und lädt sich nicht mehr auf. Oft wird auch eine Art lähmendes Gefühl beschrieben, dass gepaart ist mit einer gewissen Frustration und Hilflosigkeit. Es entsteht der Eindruck, dass die Probleme immer größer werden. Man fühlt sich oft gelähmt, wie erstarrt oder genervt, ist empfindlich oder gar dauerhaft gereizt.

Wird Resilienz für Führungskräfte das Skill der Zukunft?

Helmut Martin: 
Klares Ja. Für Führungskräfte waren die letzten zwei Jahre eine enorme Belastung. Sie mussten selber stark sein, um ihre Mitarbeiter durch eine Vielzahl von Krisen führen. Und aus meiner Sicht werden diese Krisen auch in Zukunft nicht ausbleiben. Viele Führungskräfte befanden sich noch nie in einer solch anspruchsvollen Situation, in der neben Fach- und Methodenkompetenz vor allem innere Stärke, Lösungsorientierung, Empathie, Optimismus, und vieles mehr gebraucht wurden. All dies sind typische Resilienzfaktoren. Resilienz ist somit kein neumodisches Phänomen, sondern ein Skill-Set, dass jede Führungskraft und eigentlich auch jeder Mitarbeiter entwickeln sollte, um sich für die Zukunft zu rüsten.

Steffen Volk: Viele, auch junge Erwachsene, haben oft das Gefühl von Hilflosigkeit, Ohnmacht und glauben, dass sie nicht mehr aus dem Krisenmodus herauskommen. Für die Mitarbeitenden persönlich, jedoch auch für die Führungskräfte kann dies eine große Herausforderung darstellen. Die persönliche Resilienz der Führungskraft und die Begleitung der Resilienz ihrer Mitarbeitenden wird aus meiner Sicht definitiv einer der großen benötigten Skills der Zukunft. 

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